Kassenreform: Viel Kritik und ein bisschen Lob
Trotz kleinerer Änderungen in der Regierungsvorlage zur Sozialversicherungsreform ist die Kritik auch nach dem Ministerrat am Mittwoch äußert scharf geblieben. Es werde Verschlechterungen für die Patientinnen und Patienten geben, monierte die Opposition im Parlament. Aber abgesehen vom Eigenlob der Regierung gab es auch positive Stimmen.
Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, nannte die Reform einen „signifikanten Schritt vorwärts“. Auch die Wirtschaftskammer (WKÖ) begrüßte den Ministerratsbeschluss. „Damit wird eine große Strukturreform umgesetzt, die schon lange überfällig war und die eine deutliche Verschlankung und damit Effizienzsteigerung bringt. Das ist zum Vorteil für alle Beteiligten“, so WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf in einer Aussendung.
Die Kritik an der Reform fiel allerdings weit größer aus. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sagte, dass die Reform „die Situation der Menschen in diesem Land nicht verbessert. Sie wissen nicht ganz genau, warum und für wen Sie hier reformieren“, hielt die Ex-Gesundheitsministerin der Regierung vor – allen voran ihrer Nachfolgerin, Beate Hartiner Klein (FPÖ). Es kam zu einer „turbulenten Diskussion“, wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Situation beschrieb.
Verbaler Schlagabtausch im Plenum
Rendi-Wagner sagte, dass die Reform jetzt „keine Gerechtigkeit, wie ich sie mir vorstelle“ bringen würde. Auf der anderen Seite würden „in Stein gemeißelte“ und drängende Probleme wie Ärztemangels auf dem Land oder lange Wartezeiten nicht gelöst. „’Sie machen es den Menschen schwerer“, betonte die SPÖ-Chefin. Wenig freundlich fiel die Antwort von Ministerin Hartinger-Klein aus.
Die SPÖ „schürt Ängste wo keine Angst ist“, sie erhebe „verantwortungslose“ Vorwürfe. Rendi-Wagner als Gesundheitsexpertin müsste um deren „Haltlosigkeit“ wissen, und das sei „eigentlich sehr enttäuschend für mich“. Zumal doch die Frage sei, „welches Gesundheitssystem haben Sie mir überlassen“. Hartinger behauptete, dass ihre SPÖ-Vorgänger die Zweiklassenmedizin (Wahlarztsystem) gefördert, die Strukturprobleme nicht gelöst und Österreichs Abrutschen in Gesundheitssystemstudien zu verantworten hätten.
Die Liste-Pilz-Abgeordnete Daniela Holzinger kritisierte, dass eine solche Reform „im stillen Kämmerlein alleine im Ministerium erarbeitet wurde“. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte: Die Behauptung, dass die Reform eine Milliarde bringe, sei „Hokuspokus“. Die Regierung habe wieder nur „Verpackung und Schleifchen“ in den Vordergrund gestellt.
Empörung über Bettvorleger-Sager Schellhorns
Für besondere Aufregung sorgte NEOS-Mandatar Josef Schellhorn. Zu Beginn seiner Rede zur Sozialversicherungsreform meinte er in Richtung Hartinger-Klein, die einen Schal mit Leopardenmuster trug: „Sie sind als Löwin reingesprungen und haben als Bettvorleger geendet.“
Empörte Zwischenrufe folgten, Schellhorn entschuldigte sich auf Aufforderung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Den freiheitlichen Frauen war das nicht genug. In einer Aussendung sprach Frauensprecherin Carmen Schimanek (FPÖ) von einer skandalösen sexistischen Entgleisung des Wiederholungstäters Schellhorn. Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sollte ihren Klubkollegen zu einer Nachschulung in Sachen Benehmen verdonnern. Bereits 2015 war Schellhorn im Nationalrat gegenüber der ÖVP-Abgeordneten Maria Fekter ausfällig geworden.
Debatte über Einsparungen
Die Debatte über die Einsparungen läuft schon seit Wochen auf Hochtouren. Laut Berechnungen von Sozialversicherungsexperten und -expertinnen kommen nach der Reform finanzielle Mehrbelastungen von über einer Milliarde Euro (2019 bis 2023) auf die AUVA und die Krankenkasse zu. Darüber hinaus dürften mindestens 500 weitere Millionen Euro an Fusionskosten für die Zusammenführung der Sozialversicherungen und Krankenkassen anfallen.
Wie die Regierung auf eine Milliarde Euro kommt, ist unklar. Genaue Berechnungen liegen dieser Annahme nicht zugrunde, wie man in Regierungskreisen einräumt. Es handle sich um „Schätzungen auf Basis diverser Experten“ bzw. um ungefähre Zahlenwerte, die man aus der Studie der London School of Economics zur Kassenreform übernommen habe. „Unter der Annahme einer linear ansteigenden Einsparung von bis zu 30 Prozent der Personal- und Sachaufwendungen der Sozialversicherung wird im genannten Zeitraum (also bis 2023, Anm.) ein Einsparungspotenzial von rd. € 1 Mrd. erreicht“, heißt es in der Regierungsvorlage. Ursprünglich war von einer „linearen Einsparung von bis zu zehn Prozent“ die Rede.
Kassenreform im Ministerrat beschlossen
Der Ministerrat hat Mittwochvormittag die Reform der Krankenkassen beschlossen. Der erste Teil des Gesetzesvorschlags soll ab 1. Jänner 2019 gelten.
Bei der Debatte im Parlament zeigten ÖVP und FPÖ ohnehin keinerlei Bereitschaft, auf die in der Begutachtung vorgebrachten Bedenken einzugehen. „Alles, was an Kritikpunkten kommt, wird sich in Luft auslösen“, sagte FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz. Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger zeigte sich überzeugt, dass alle Kritik – etwa der Verfassungswidrigkeit – „so zusammenbrechen wird wie derzeit Ihre Parteistruktur“.
Problematische Punkte laut Hauptverbandschef
Alexander Biach, Chef des vor der Auflösung stehenden Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, sah noch viele problematische Punkte. In einer Aussendung nannte er etwa die Aufsichtsrechte des Bundes, die trotz leichter Änderung dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung widersprächen. Weiterhin problematisch sei das geplante Rotationsprinzip in der Führung des kommenden Dachverbandes. Dort wird es künftig jedes Jahr einen anderen Chef oder eine andere Chefin geben. Weil es auch in den Trägern zu Änderungen kommt, heißt es: sieben Vorsitzende in den nächsten fünf Jahren.
Für den ÖGB ortete der leitende Sekretär Bernhard Achitz nur kosmetische Korrekturen nach der Begutachtung. „An der Gesamteinschätzung ändert sich nichts: Es drohen gravierende Verschlechterungen für die Patientinnen und Patienten“, meinte er. Ganz ähnlich sah das Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK): „Es geht nicht um die Sache, es geht allein um die Machtverschiebung zulasten der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter.“ Dieser Meinung schloss sich auch die Arbeiterkammer an.
Parlament diskutiert über Kassenreform
Das Parlament befasste sich am Mittwoch mit der Zusammenlegung der Krankenkassen. Während die Regierungsparteien die Reform verteidigten, kam von der Opposition scharfe Kritik.
Die ÖVP-FPÖ-Regierung reagierte auf die langanhaltende Kritik bereits vor dem Ministerrat. Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird diese nicht verstummen, weil „es Funktionäre gibt, die ihre Machtposition verlieren und unglücklich darüber sind“. In den vergangenen Wochen habe es viel „Angst- und Panikmache“ gegeben – nämlich „Falschbehauptungen“, dass Krankenhäuser geschlossen oder Leistungen für Patienten und Patientinnen gekürzt würden.
Regierung reagierte auf Kritik
Die Debatte darüber, ob man tatsächlich eine Milliarde einsparen kann, bewertete Kurz als „Versuch eines gewissen Ablenkungsmanövers“. Man fühle sich der Bevölkerung verpflichtet „und nicht einigen wenigen Generaldirektoren“. Auch gebe es einige, die die Reform einfach aus Parteitaktik kritisieren müssten. Jene, die berechtigte Sorgen hätten, werde man weiter aufklären. Freilich gab es auch harsche Kritik von unverdächtiger Seite.
So hatte etwa Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker bemängelt, dass der Nachweis zum Einsparen der von der Regierung behaupteten Milliarde fehle. „Wir haben alles, was in unserer Macht steht, möglich gemacht, damit das funktionieren kann“, versicherte Kurz. Es gehe ein Bündel an Maßnahmen über mehrere Jahre, und es sei auch stets ein Zusammenwirken mit der Selbstverwaltung – „zumindest solange es die Selbstverwaltung gibt“, so der Kanzler.
Die Diskussion über die Milliarde sei überhaupt eine „interessante“. Der entscheidende Punkt sei nicht, „ob es auf den Euro genau eine Milliarde ist“, sagte er, sondern was mit dem Geld passiere. Es gehe um „in etwa eine Milliarde“, relativierte Kurz, „wenn es 900 Millionen werden, sind es noch immer 900 Millionen mehr als zuvor“.