Fakten und Mythen zur Mindestsicherung
In der öffentlichen Debatte entsteht der Eindruck, dass es zahllose faule, arbeitslose MindestsicherungsbezieherInnen gibt, die von jenen, die sich abrackern, durchgefüttert werden. Doch hält dieser Eindruck einem Faktencheck stand?
Die Mindestsicherung wird als Leistung der öffentlichen Hand vom Steuerzahler gewährleistet. Dass die arbeitende Bevölkerung viel in den ganzen großen Topf einzahlt, den das Budget ausmacht, ist klar. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit – eine Volkswirtschaft ist weitaus komplexer, als dass so vereinfachende Aussagen getätigt werden könnten.
Die Rechnung, dass eins zu eins die arbeitende Bevölkerung die nicht Arbeitenden querfinanziert, muss relativiert werden, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens zahlen alle in den Steuertopf ein – auch jene, die nicht arbeiten gehen, etwa in Form der Mehrwertsteuer beim Einkaufen. Je ärmer die Menschen, desto größer ist tendenziell der Anteil ihres Gesamteinkommens, den sie für Konsum aufwenden – denn zum Sparen oder Veranlagen fehlt das Geld.
Die „Fleißigen“ und die „Faulen“
Davon abgesehen ist es etwas mehr als ein Drittel der Steuereinnahmen, das durch Einkommens- und Lohnsteuer zusammenkommt. Die neuen Zahlen liegen noch nicht vor. Aber anberaumt waren für 2018 4,1 Milliarden Euro an Staatseinnahmen durch die Einkommens- und 27 Milliarden durch die Lohnsteuer. Insgesamt wurde brutto mit Steuereinnahmen von mehr als 86 Milliarden Euro gerechnet. 36 Prozent der Steuereinnahmen werden also von Angestellten und Selbständigen direkt als Teil von ihrem Arbeitseinkommen abgeliefert und von niemandem sonst.
81 Euro pro Person und Jahr
Die Ausgaben für die Mindestsicherung lagen 2017 österreichweit laut Statistik Austria insgesamt bei 977 Millionen Euro, also bei einer knappen Milliarde. Legt man das Budget für die Mindestsicherung auf das Gesamtbudget des Staates um, werden 36 Prozent von diesen 977 Millionen Euro durch Einkommens- und Lohnsteuer finanziert, das sind 351 Millionen Euro.
Im Jahresdurchschnitt 2017 gab es in Österreich 4,3 Millionen Erwerbstätige. Dividiert man die 351 Millionen Euro, die für die Mindestsicherung durch Einkommens- und Lohnsteuer zusammenkommen, durch die Zahl der Erwerbstätigen, kommt man auf 81 Euro pro Person und Jahr, die sich durch Abgaben auf die Arbeitskraft ergeben. Insgesamt finanzierten 4,3 Millionen Erwerbstätige 2017 knapp 308.000 Mindestsicherungsbezieherinnen und -bezieher.
Längst nicht nur Arbeitslose betroffen
Sind die knapp 308.000 Mindestsicherungsbezieherinnen und -bezieher nun alle untätig? So kann man das jedenfalls nicht sagen. 35,2 Prozent von ihnen sind Kinder. Weitere 31,2 Prozent sind Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigte (also Flüchtlinge), und die werden (außer in ganz wenigen Ausnahmefällen) nicht vermittelt, wenn sie nicht ein bestimmtes Niveau an Deutsch erreicht haben. Bei den Deutschkursen gab es in den letzten Jahren aber einen „Stau“.
Auch die restlichen 33,6 Prozent sind längst nicht alle Arbeitslose. Denn insgesamt sind 70,5 Prozent der Mindestsicherungsbezieher „Aufstocker“. Das heißt, sie beziehen Geld aus anderen Quellen, aber weniger als die rund 850 Euro, die man maximal als Mindestsicherung beziehen kann. Die Differenz wird dann aufgestockt.
Die Aufstocker sind nicht nur Menschen, die Teilzeit arbeiten, sondern auch Pensionistinnen und Pensionisten, deren Pensionszahlungen zum Überleben nicht reichen. Gerade ihnen wird niemand vorwerfen, sich in der sozialen Hängematte auszuruhen, aber auch sie sind Teil der Mindestsicherungsstatistik. Aber es ist kompliziert. Denn ein Teil der 70,5 Prozent der „Aufstocker“ ist trotzdem arbeitslos – und stockt das Arbeitslosengeld auf, wenn es weniger beträgt als die Höhe der Mindestsicherung.
Die Tschetschenenfrage
Ein Sonderfall sind die Tschetschenen. Gerade in den letzten Tagen wurde wiederholt behauptet, dass vor allem sie von der Mindestsicherung profitieren würden. Unter anderem war von „30.000 Tschetschenen“ die Rede, die – es war nicht ganz klar, ob in Wien oder in ganz Österreich – Mindestsicherung beziehen würden. Das kann keinesfalls stimmen, so oder so.
Zwar werden die Tschetschenen nicht als eigene Gruppe in Statistiken ausgewiesen. Aber laut Statistik Austria lebten Anfang 2018 knapp 32.000 russische Staatsangehörige in Österreich, 18.500 davon in Wien. Selbstverständlich kommen die nicht alle aus Tschetschenien (deren Anzahl wird nicht erhoben). 4.500 Russen beziehen in Wien jedenfalls Mindestsicherung.