Arbeitszeitgesetz: Verstöße setzen Politik unter Zugzwang
Fälle, bei denen Arbeitgeber die Freiwilligkeit des Zwölfstundentags ignoriert haben, befeuern erneut die Debatte über das neue Arbeitsgesetz. Erst am Montag machte die Arbeiterkammer den jüngsten Fall publik. Nach dem FPÖ-geführten Sozialministerium stellt nun auch Koalitionspartner ÖVP Nachschärfungen in den Raum. Auch eine Gesetzesänderung scheint nicht mehr völlig ausgeschlossen.
Die Töne aus der ÖVP klangen Montagmittag anders als noch in den Tagen zuvor: „Die ÖVP ist für eine Verschärfung. Ob über gesetzlichen Weg, Erlass, Weisung oder Verordnung, muss noch geklärt werden. Jedenfalls muss es zu einem verschärften Vorgehen durch die Arbeitsinspektorate kommen“, hieß es in einem Schreiben eines ÖVP-Sprechers an die APA. Damit schloss die Kanzlerpartei auch eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes nicht mehr kategorisch aus.
Wenige Stunden zuvor hatte es aus dem ÖVP-Parlamentsklub hingegen noch geheißen, dass eine Nachbesserung des Gesetzes kein Thema sei. Die ÖVP setze darauf, „Ausnahmefälle“ von schwarzen Schafen durch verstärkte Kontrollen und harte Sanktionen des Arbeitsinspektorat abzustellen. Das Gesetz an sich funktioniere aber. Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger schloss in den „Salzburger Nachrichten“ (Montag-Ausgabe) eine Neuverhandlung aus: „Das Gesetz ist ja erst seit zwei Monaten in Kraft“, so Wöginger.
Sozialministerium will Verstöße prüfen
Änderungen in den Raum gestellt hatte zuvor bereits der Koalitionspartner FPÖ. Am Montag bemühte sich vor allem das Sozialministerium, Problembewusstsein zu signalisieren: Noch diese Woche finde eine Analyse der Fälle statt, sagte der Sprecher von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) am Montag. Danach wolle man mit dem Koalitionspartner über Nachschärfungen reden und diese präsentieren. Eine der Möglichkeiten seien Sanktionen, so der Sprecher. Auch die Kontrollen könnten verschärft werden. Nach der Analyse werde man wissen, wo es Verbesserungs- und Reparaturbedarf gebe.
In Zugzwang gebracht hatten die Regierung Berichte über Fälle, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Zwölfstundentag gezwungen werden sollten. So wurde etwa eine Hilfsköchin in Wien laut Medienberichten gekündigt, weil sie sich weigerte, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Laut Sozialministerium wurde mittlerweile das Arbeitsinspektorat mit einer Prüfung beauftragt.
Jüngster Fall aus Tirol
Einen weiteren Fall machte erst am Montag der Tiroler Arbeiterkammer-Chef Erwin Zangler – selbst Mitglied des ÖVP-Arbeitnehmerbunds ÖAAB – per Aussendung publik. Wie bei einem ähnlichen Vorfall in Salzburg sollte die Freiwilligkeit des Zwölfstundentags umgangen und die Arbeitszeit über den Dienstvertrag erzwungen werden.
Die „Salzburger Nachrichten“ hatten am Wochenende berichtet, dass ein großes Hotel im Salzburger Bergland einem Bewerber einen Dienstvertrag vorgelegt hatte, in dem es wörtlich hieß: „Der Arbeitnehmer erklärt seine ausdrückliche und freiwillige Bereitschaft, bei Vorliegen erhöhten Arbeitsbedarfs eine Tagesarbeitszeit von bis zu zwölf Stunden und eine Wochenarbeitszeit bis zu 60 Stunden leisten zu wollen.“
SPÖ empört Vorschlag des ÖVP-Klubs
Für Empörung sorgte bei der SPÖ unterdessen, dass sich die ÖVP als Anlaufstelle für Arbeitnehmer anbot, die sich ungerecht behandelt fühlen. „Das Verhalten der ÖVP zu diesem Husch-Pfusch-Gesetz wird immer skurriler. Zuerst schafft man ein Gesetz, bei dem von Anfang an klar war, dass Arbeitnehmer damit nur verlieren können und zu Opfern werden. Jetzt versucht man diese Opfer zu beruhigen und mundtot zu machen, indem man ihnen einen Rechtsschutz anbietet. Ex-Gewerkschafter und nunmehriger Kurz-Jünger Wöginger sollte wissen: ÖGB und AK können das besser“, so SPÖ-Mandatar Rainer Wimmer in einer Aussendung.
Die SPÖ fordert wie auch Gewerkschaft und Arbeiterkammer, das Gesetz auf Augenhöhe mit den Arbeitnehmervertretern neu zu verhandeln. In das Arbeitszeitgesetz, das die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im Sommer verabschiedeten, waren sie nicht eingebunden, weshalb sie von einem „Husch-Pfusch-Gesetz“ sprechen. Das neue Arbeitsgesetz, dass im Nationalrat auch die Zustimmung von NEOS fand, erlaubt eine tägliche Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden sowie die 60-Stunden-Woche.
Gewerkschaft bringt Thema in Herbstlohnrunde
Wegen der längeren Arbeitszeiten stockt auch die Herbstlohnrunde. Wimmer, der für die Gewerkschaft Pro-Ge den Metallerkollektivvertrag verhandelt, sagte: „Wir werden nicht hinnehmen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen die zwölf Stunden aufs Aug gedrückt bekommen.“ Die Arbeitnehmervertreter fühlen sich überrumpelt und übervorteilt und wollen sich in den KV-Verhandlungen „zurückholen“, was ihnen „genommen worden“ sei. Die Arbeitgeber hingegen fühlen sich dafür nicht zuständig und sagen, sie seien der falsche Adressat, wenn die Gewerkschaften gegen die Bundesregierung mobilisieren wollen.
WKÖ: Formulierung zurückgezogen
Die Wirtschaftskammer (WKÖ) gab sich in einer Aussendung überdies um Klarstellung bemüht. Die „missverständliche Formulierung eines privaten Steuerberatungsunternehmens“ sei zurückgenommen worden. „Wir decken keinerlei Verstöße oder schwarze Schafe, verwehren uns aber auch, dass aus einer unglücklichen Formulierung eines Vertragsmusters die Seriosität der gesamten Tourismusbranche plakativ infrage gestellt wird“, hieß es von WKÖ-Bundessparten-Obfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher und den Fachverbandsobleuten Hotellerie und Gastronomie, Susanne Kraus-Winkler und Mario Pulker.