Hohe Folgekosten befürchtet
Die Förderung für Lehrlinge in der überbetrieblichen Ausbildung wird vom Arbeitsmarktservice (AMS) gekürzt. Für über 18-Jährige soll die Ausbildungsbeihilfe ab September halbiert werden. Eine Maßnahme, die Kritik nach sich zieht. Viele Jugendliche könnten sich dann eine Lehrausbildung nicht mehr leisten. Das könnte den Fachkräftemangel weiter verschärfen und langfristig höhere Sozialkosten nach sich ziehen, so eine Befürchtung.
Wer keine Lehrstelle in einem Betrieb findet, kann sich auch um einen Platz in einer überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung bewerben. Derzeit werden etwa 11.000 Jugendliche und junge Erwachsene in solchen Werkstätten ausgebildet. Vergangenen Dienstag hat der Verwaltungsrat des AMS mehrheitlich beschlossen, die Förderung der überbetrieblichen Ausbildung zu kürzen. Derzeit erhalten alle Lehrlinge, unabhängig vom Lehrjahr, 753 Euro monatlich. Aber Herbst sollen Lehrlinge, die älter als 18 Jahre alt sind, im ersten und zweiten Lehrjahr nur noch 325,80 Euro erhalten.
Keine Konkurrenz für Betriebe
Man habe sich zu diesen Kürzungen entschlossen, weil sich die wirtschaftliche Situation in Österreich in den vergangenen zwölf Monaten stark verbessert habe, sagte Sebastian Paulick, Sprecher des AMS Wien gegenüber ORF.at. Die Unternehmen seien ausbildungswillig, und deswegen wolle man Jugendliche wieder stärker in Betrieben und nicht in der außerbetrieblichen Ausbildung unterbringen. Letztere sei immer nur der „Plan B“ gewesen.
Dass die gute Konjunktur und die demografische Entwicklung einen Lehrlingsmangel erwarten lassen, bestätigte auch der Arbeitsmarktökonom Herbert Walther von der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch. Die österreichischen Betriebe hätten in den vergangenen Jahren zu wenige Lehrlinge ausgebildet. Das würde den Fachkräftemangel verstärken. Die überbetrieblichen Ausbildungsangebote würden aber nicht in echter Konkurrenz zu den Betrieben stehen, so Walther. Die Zielgruppe für diese Lehrstellen sei eine andere.
Angst vor Problemfällen
Ein schlechtes Schulzeugnis, mangelnde Berufsreife oder die Diskriminierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind die Hauptursachen, warum junge Menschen keine Lehrstelle in einem Betrieb finden. „Dass diese Jugendlichen einen besonderen Förderungsbedarf haben, liegt auf der Hand“, so Walther. Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten seien „Auffangbecken“ für jene Jugendliche, die sich zwar um eine betriebliche Lehrstelle bewerben, aber keine bekommen. In Bezug auf die gesetzliche Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr sei das eine wichtige und sinnvolle Maßnahme.
Der Arbeitsmarktökonom bezweifelt, dass höhere Förderungen für Lehrstellen in Betrieben an dieser Situation etwas ändern würden. Das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ sieht zwar vor, die Ausbildung in Betrieben prioritär zu fördern. Die Unternehmen seien aber risikoscheu und würden vor potentiellen Problemfällen zurückschrecken. „Schäden bei Fehlbedingungen an Maschinen sind extrem teuer“, so Walther, „da wird man auch mit hohen Förderungen wenig ausrichten können.“ Wie genau die Pläne der Regierung in puncto betrieblicher Förderung aussehen, ist noch nicht klar. Auf Nachfrage von ORF.at hieß es, die zuständige Sektion würde daran arbeiten.
Ohne Ausbildung höhere Folgekosten
Die Kürzungen bei der Ausbildungsförderung könnten dazu führen, dass die betroffenen Jugendlichen keine Lehrausbildungen beginnen bzw. die außerbetriebliche Lehre abbrechen und stattdessen versuchen, ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs zu verdienen. Das erzeuge langfristige Folgekosten für das Sozialsystem, so Walther. „Viele von diesen Jugendlichen werden dank der intensiven Betreuung tatsächlich arbeitsmarktfähig, was die Kosten der Ausbildung oder gar die vermiedenen Alternativkosten der Sozialhilfe mit Sicherheit hereinspielt“, erläuterte der Ökonom weiter.
Auch die Gewerkschaftsjugend kritisierte die geplanten Kürzungen. Den Jugendlichen in der überbetrieblichen Ausbildung Geld zu streichen, werde nicht dazu führen, dass sie morgen eine Lehrstelle in einem Betrieb finden, heißt es in einer Aussendung. Sie würden im Durchschnitt ohnehin schon weniger verdienen als bei einer betrieblichen Ausbildung. Das AMS verweist darauf, dass zumindest ein Teil der Betroffenen um Aufstockung auf Mindestsicherung ansuchen könne. Das sei allerdings nicht möglich, wenn die Jugendlichen im Familienverbund leben.
Ausbildungsplätze nur im Westen
In Wien, wo am meisten überbetriebliche Ausbildungsplätze in Anspruch genommen werden, bieten nur acht Prozent der Betriebe Lehrstellen an. Dem stehen 20.000 unbesetzte Lehrstellen in ganz Österreich gegenüber, die meisten davon in westlichen Bundesländern. Dorthin wolle man Ausbildungssuchende aus den östlichen Bundesländern verstärkt vermitteln, sagte Paulick. „Unter dem Motto ‚Go West‘ wird das Ziel sein, möglichst viele Jugendliche in echten Betrieben unterzubringen“, so der Sprecher des AMS Wien.
Ausbildungsplätze in überbetrieblichen Lehrwerkstätten werden beispielsweise vom Berufsförderungsinstitut (BFI) oder dem Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) angeboten. Zu den Kürzungen bei der Ausbildungsbeihilfe für über 18-Jährige sagte Franz-Josef Lackinger, der Geschäftsführer des BFI, dass man verstärkt daran arbeiten müsse, Jugendliche schon vor dem 18. Lebensjahr in die überbetriebliche Ausbildung zu bringen, sofern sie keinen Platz in einem Betrieb finden. „Dann erübrigt sich die Debatte, ob eine finanzielle Entschädigung ab 18 womöglich der Entscheidung für eine Lehre im Betrieb entgegensteht“, so Lackinger in einer Aussendung.
Vorteil der Ausbildung
Zukünftig wolle das BFI die Zusammenarbeit mit österreichischen Unternehmen verbessern. Die Lehrlinge sollen möglichst schon vor Abschluss von der überbetrieblichen in eine betriebliche Werkstatt wechseln. Eine Strategie, die auch das AMS unterstützt. Eine solche Entwicklung sei zwar prinzipiell wünschenswert, sagte Arbeitsmarktökonom Walther. Um dem Fachkräftemangel in Österreich zu begegnen, seien aber auch Investitionen in die überbetriebliche Ausbildung überlegenswert.
Denn viele traditionelle Lehrberufe haben sich in den vergangenen Jahren in technischer Hinsicht stark verändert. „Wer in einem kleinen Betrieb lernt, mit veralteter Technologie zu arbeiten, wird spätestens mit der Pensionierung des Chefs und einer Betriebsstilllegung zum Problemfall auf dem Arbeitsmarkt“, so Walther. Solchen Risiken könne man mit einer besseren Ausbildung begegnen.