Übernahme zu heiklem Zeitpunkt
Nach 2000 übernimmt Österreich ein zweites Mal für ein Jahr den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der scheidende deutsche OSZE-Vorsitzende Frank-Walter Steinmeier (SPD) stimmte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bereits auf eine schwierige Aufgabe ein.
Offiziell will Kurz die Prioritäten des österreichischen Vorsitzes zwar erst am 12. Jänner vorstellen. Aber beim letzten OSZE-Ministerrat im Dezember in Hamburg kündigte er bereits an, dass Österreich Akzente beim Kampf gegen Radikalisierung setzen und darüber hinaus als „Brückenbauer“ auftreten werde, um das Vertrauen in die OSZE wieder zu stärken.
Russland-Sanktionen sollen gelockert werden
Ohne Russland könne es keinen Frieden in Europa geben, so Kurz. In einem APA-Interview hatte er zuvor gesagt, dass er auf Russland zugehen wolle, obwohl dieses durch die Annexion der Krim „rote Linien überschritten“ habe.
Im Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kündigte Kurz an, eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland voranzutreiben. „Wir müssen wieder Vertrauen in Europa aufbauen und bei den Sanktionen weg von einem System der Bestrafung hin zu einem System des Ansporns kommen“, sagte er.
Grafik: ORF.at; Quelle: APA
Zweimaliger Vorsitz selten
Österreich ist nach Deutschland und der Schweiz erst das dritte Land, das zum zweiten Mal die OSZE-Präsidentschaft innehat. Ausgerechnet im „Sanktionsjahr“ 2000 war Österreich an der Spitze der Staatenorganisation gestanden.
Steinmeier: Ihr werdet rauen Wind spüren
Rund 40 Diplomaten bereiten den österreichischen Vorsitz schon seit Monaten im Außenministerium vor und arbeiten dabei eng mit dem scheidenden Vorsitzland Deutschland sowie der nächsten Präsidentschaft Italien zusammen. Den „rauen Wind (...) werdet ihr auch spüren“, sagte Steinmeier im Dezember. „Europa ist seit 2014 eben nicht mehr der Hort des ewigen Friedens“, spielte Steinmeier auf den Beginn des Ukraine-Konflikts vor gut zwei Jahren an.
Start mit Ukraine-Reise
„Ein Mehr an Sicherheit kann es nur mit einem Mehr an Vertrauen geben“, sagte Kurz in Hamburg vor den Außenministern der anderen 56 OSZE-Mitgliedsstaaten mit Blick auf die tiefe Spaltung zwischen Russland und dem Westen, die auch beim Hamburger Treffen wieder offenbar geworden war. „Das Blockdenken hat wieder Hochkonjunktur“, beklagte Kurz. So startet er seine Vorsitztätigkeit gleich mit einer Ukraine-Reise. Der neue „Chairman-in-Office“ wird am 2. Jänner in dem osteuropäischen Land erwartet.
Die dortige militärische Lage unterscheidet sich zum Jahresende unwesentlich von der Situation im Vorjahr. Mehrere hundert OSZE-Militärbeobachter bemühen sich im Donbass-Becken um eine Waffenruhe. Doch sowohl prorussische Separatisten als auch die Regierungstruppen missachten den OSZE-Beobachtern zufolge die Waffenruhe. Die Feindseligkeiten nahmen jüngst wieder zu.
Initiativen ins Stocken geraten
Schätzungen zufolge starben in dem Krieg schon etwa 10.000 Menschen. Neuere Vereinbarungen - wie der Abzug schwerer Waffen und die Verbesserung der humanitären Situation der Zivilbevölkerung in den abtrünnigen Gebieten - harren ihrer Umsetzung. Initiativen wie die Entflechtung der Konfliktparteien mit einem Sicherheitsabstand von etwa zwei Kilometern gerieten ins Stocken.
Das ukrainische Außenministerium wünscht sich ein verstärktes OSZE-Engagement der Österreicher. „Wir hoffen, dass unsere Partner in Wien einen aktiven OSZE-Vorsitz in Bezug auf die Ukraine durchführen“, sagte der politische Direktor des ukrainischen Außenministeriums, Oleksij (Alexej) Makajew, in Kiew.
„Mit Schadensbegrenzung ist schon viel erreicht“
Jederzeit aufbrechen könnten auch andere nur scheinbar „eingefrorene Konflikte“, um deren Beilegung sich die OSZE bemüht. So gab es heuer bei Kämpfen zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Enklave Bergkarabach Dutzende Tote. Und auch auf dem Balkan ist die Lage durch die bosnisch-serbischen Sezessionsbestrebungen angespannt. Mit Schadensbegrenzung sei schon viel erreicht, bringt ein OSZE-Diplomat die Erwartungen an das Vorsitzland auf den Punkt. „Es wäre bereits ein Erfolg, wenn weiter alle an einem Tisch bleiben.“
Ansässig in Wien, betreibt die OSZE insgesamt 17 Missionen auf dem Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien. Ein Ritual ist die wöchentliche Sitzung der Botschafter der 57 OSZE-Staaten in der Hofburg. Diplomaten betonen, dass man die Bedeutung des „Ständigen Rates“ der OSZE nicht unterschätzen sollte. Schließlich ist die OSZE neben der UNO das einzige sicherheitspolitische Gremium, in dem die USA und Russland regelmäßig zusammentreffen.
Generalsekretär: Aufgabenbereich sehr kompliziert
„Österreich übernimmt den Vorsitz zu einem Zeitpunkt, zu dem der Aufgabenbereich wirklich sehr kompliziert ist“, sagte OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier im Dezember. Er hoffe, dass die österreichische OSZE-Präsidentschaft zur Lösung dieser Fragen beitragen und auch die Rolle der Staatenorganisation als Dialogforum stärken werde.
APA/AP/dpa/Christian Charisius
OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier scheidet im Juni aus dem Amt
Im Vergleich zu Organisationen gleichgesinnter Staaten wie EU und NATO zeichne die OSZE nämlich gerade die Tatsache aus, dass sie „inklusiv“ sei und Staaten mit unterschiedlichen politischen Ansichten vereine, so Zannier, der nach zwei dreijährigen Amtsperioden im Juni aufhören wird. „Wir schaffen einen Raum, in dem wir diese Unterschiede erörtern können. Wir möchten sie nicht eliminieren, sondern überbrücken“, so Zannier.
Schwierige Personalentscheidungen stehen an
Insgesamt 100 Arbeitsgruppen sind in der Organisation derzeit beschäftig, ist die OSZE doch in verschiedensten Politikfeldern - vom Kampf gegen Frauenhandel bis zur Wahlbeobachtung - aktiv. Neben dem OSZE-Generalsekretariat gibt es noch drei Unterorganisationen: das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau, einen Minderheitenkommissar in Den Haag und den Kommissar für Medienfreiheit in Wien. Alle vier Organe sollen nun unter österreichischem Vorsitz einen neuen Chef bekommen.
Die Personalentscheidungen gelten als äußerst heikel. Der härteste Brocken wird die Besetzung des ODIHR-Büros in Warschau sein. Das Büro ist vor allem Russland und anderen Ex-Sowjetstaaten ein Dorn im Auge. Moskau sähe es dem Vernehmen nach überhaupt gerne, wenn die OSZE zu einer rein politisch-militärischen Sicherheitsorganisation würde und die „menschliche Dimension“ ihrer bisherigen Tätigkeit hinter sich ließe.
Alle müssen zustimmen
Nach den OSZE-Regeln kommt eine gemeinsame Erklärung nur zustande, wenn alle 57 Mitgliedsstaaten zustimmen.
Gemeinsame Erklärungen selten
Traditioneller Höhepunkt der Präsidentschaft ist das jährliche Außenministertreffen im Dezember, bei dem auf höchster Regierungsebene nach Kompromissen gesucht wird. Allerdings konnten sich die OSZE-Staaten schon seit Jahren nicht mehr auf eine gemeinsame Erklärung einigen - so auch 2016 in Hamburg nicht. Stattdessen gab es ein deutsches Abschlusspapier, in dem offen von „Differenzen“ sowie von Verstößen gegen das Völkerrecht und die Grundsätze der OSZE die Rede war. Kein Staat wurde jedoch mit Namen genannt.
Zu den Staaten, die ein gemeinsames Papier blockierten, gehörten Russland und die Ukraine. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf dem Westen erneut vor, ein Zerrbild zu zeichnen. Der österreichische Vorsitz erwägt für 2017 auch ein informelles OSZE-Ministertreffen im September, das außerhalb von Wien stattfinden dürfte. Die Außenminister sollen in ungezwungener Atmosphäre das Jahrestreffen vorbereiten.