Der Nationalrat hat am Donnerstag eine umfassende Reform des Sozialversicherungssystems beschlossen
Damit wird die Zahl der Träger stark reduziert und die Machtposition der Arbeitgeber in den Gremien deutlich ausgebaut. Dem Beschluss ging eine Debatte von ungewohnter Heftigkeit voraus.
Künftig wird es statt 21 fünf Träger geben, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird in seiner Bedeutung geschmälert, behält aber dank eines Abänderungsantrags doch fixe Vorsitzende. Ursprünglich war geplant, dass die Obleute der Träger in einem halbjährlichen Rotationsprinzip die Leitung übernehmen. Die Regierung reagierte aber auf Bedenken, dass eine gezielte Unternehmensplanung so erschwert werde – nun sind zwei Führungspersonen vorgesehen, die den Vorsitz für fünf Jahre abwechselnd ein halbes Jahr führen und damit de facto eine Doppelspitze bilden.
Größter Brocken der Reform ist die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), wobei neun Länderstellen erhalten bleiben. Die ÖGK schließt einen österreichweiten Gesamtvertrag für die Ärztehonorare ab. Bis 2021 sollen die Leistungen harmonisiert werden.
Berufsgruppenkassen bleiben bestehen
Neben der ÖGK für die Arbeitnehmer wird es weiterhin auch andere Berufsgruppenkassen geben. Bauern und Unternehmer kommen in der neuen Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) zusammen, dritter Sozialversicherungsträger wird die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB). Die Pensionsversicherungsanstalt (PV) bleibt bestehen, ebenso die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA).
Zusammenlegung der Krankenkassen im Nationalrat
In einer emotionsgeladenenen Debatte diskutierte der Nationalrat jetzt die Zusammenlegung der Krankenkassen. Es hagelte Ordnungsrufe, die Worte Lüge und Unwahrheit waren keine Seltenheit.
In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Jänner 2019. Mit April werden pro Träger Übergangsgremien zur Vorbereitung des Fusionsprozesses eingesetzt und neue leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht. Mit gleichem Datum will die Regierung die verordnete „Ausgabenbremse“ bei den Sozialversicherungen wieder aufheben. Ab 1. Jänner 2020 soll die neue Kassenstruktur dann gültig sein.
Ermächtigungsgesetz wieder abgesagt
Mittels Abänderungsantrag wieder aus dem Gesetz eliminiert wurde die erst im November vom Nationalrat beschlossene und von der Opposition heftig kritisierte Bestimmung, wonach die Sozialministerin notwendige „Vorbereitungshandlungen“ für jedes Gesetzesvorhaben im Bereich der Sozialversicherungsgesetze setzen darf, sofern ein entsprechender Entwurf bereits in parlamentarischer Behandlung steht. Es hatte die Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof gedroht.
Voraus ging dem Mehrheitsbeschluss eine der heftigsten Debatten der vergangenen Monate. Zahlreiche tatsächliche Berichtigungen, persönliche Erwiderungen und Geschäftsordnungsmeldungen führten zu einer zerhackten und untergriffigen Diskussion, die auch Ordnungsrufe durch den vorsitzführenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) zur Folge hatte.
„System von Herrn und Knecht“
„Ehe der Hahn zweimal kräht, hast du die Arbeitnehmer dreimal verraten“, richtete etwa Ex-Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) ÖAAB- und ÖVP-Klubobmann August Wöginger aus. „Sie wollen den Sozialstaat in die Luft sprengen“, sagte sein Parteikollege Rainer Wimmer. Stöger verdächtigte die Regierung, ein „System von Herrn und Knecht“ wiedereinführen zu wollen, die Reform sei klar verfassungswidrig.
Harte Debatte über Kassenreform
Ex-Sozialminister Stöger (SPÖ) befürchtet, dass künftig weniger Geld für die Gesundheitsversorgung und Gemeinden zur Verfügung stehen wird.
SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner bestritt, dass mit der Reform die Sozialversicherung schlanker werde – vielmehr werde mit der ÖAK eine zusätzliche Verwaltungsebene eingezogen, die als einziges Ziel eine neue Machtstruktur habe. Nach der von der SPÖ vermuteten Umfärbung in den Gremien würden Selbstbehalte, Ambulanzgebühren und Leistungseinschränkungen folgen, mutmaßte die SPÖ-Chefin. So sei der Beschluss auch „brandgefährlich“. Die Gesundheitsfinanzierung werde aufs Spiel gesetzt.„Heute ist ein denkwürdiger Tag, wir schreiben Geschichte“, jubelte hingegen Sozialministerin Beate Hartinger (FPÖ) über „die größte Reform der Zweiten Republik“, um gleich zu versichern, dass ihr Ziel immer gewesen sei, die Sozialversicherung für die Versicherten zu reformieren. Die einzigen Verlierer jetzt seien die Funktionäre: „Bei uns steht der Patient im Mittelpunkt und nicht der Funktionär.“
„Wir setzen die Funktionäre an die Luft“
Schärfer formulierte es Hartingers Parteifreundin Dagmar Belakowitsch. In Richtung Gewerkschaft sagte sie: „Ich bin ja schon froh, dass Sie heute nicht mit dem Pflasterstein gekommen sind.“ Die Funktionäre sollten nicht auf die Straße gehen, sondern die Patienten behandeln, meinte die FPÖ-Abgeordnete mit Blick auf die Proteste der Wiener und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse am Mittwoch – mehr dazu in wien.ORF.at. Warum demonstriert wird, ist für Belakowitsch klar: „Die roten Bonzen sind die Verlierer.“ Auch ihr Parteikollege Johann Gudenus freute sich: „Wir setzen die Funktionäre an die frische Luft.“
Harte Debatte über Kassenreform
FPÖ-Sozialsprecherin Belakowitsch sieht nur die „roten Bonzen“ als Verlierer der Reform.
NEOS und Jetzt vermuteten dagegen eine Umfärbung. NEOS-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger sprach von der Reform als „Augenauswischerei“ und „Pflanz“. Der Beschluss bringe nur ÖVP- und FPÖ-Funktionären etwas und sonst niemandem. Die Versicherten würden keine besseren Leistungen haben, auch nicht mehr Kassenärzte. Zudem bleibe die ÖVP-Klientel wie Beamte und Bauern ausgeklammert. Eine Aushebelung der Selbstverwaltung will Jetzt-Mandatarin Daniela Holzinger im Gesetzesvorschlag erkennen. Sie plädierte vielmehr dafür, mittels Sozialwahl die Positionen in der Sozialversicherung zu bestimmen. Den Patienten bringe es nichts, wenn die Funktionäre einfach per Gesetz farblich ausgetauscht würden.
Hauptverband besänftigt, Senioren klagen
Der derzeitige Vorsitzende des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, sieht zumindest leichte Verbesserungen gegenüber den ersten Plänen der Regierung: „Das Bohren dicker Bretter hat sich ausgezahlt. Die Streichung des Rotationsprinzips im Dachverband war eine kluge und erfolgsentscheidende Verbesserung. Ich bin froh, dass unser Verbesserungsvorschlag aufgegriffen wurde.“
Nicht zu besänftigen waren die Pensionisten: Die Verfassungsklage des Seniorenrates gegen die Reform ist jetzt fix. Dass man als gesetzliche Interessenvertretung in den neu zu bildenden Gremien in den Sozialversicherungen auch nach der Reform nicht vertreten sein wird, ist für die beiden Präsidenten Ingrid Korosec (ÖVP) und Peter Kostelka (SPÖ) eine Diskriminierung. Wenn ein Viertel der Versicherten, die ein Drittel der Beiträge zahlen, von der Mitbestimmung ausgeschlossen werde, dann sei das „ein glatter Fall von Altersdiskriminierung“, sagte Kostelka.
„Willkommen im Boot der Reformbereiten!“ Mit diesen Worten begrüßte der Vorsitzende der younion _ Die Daseinsgewerkschaft heute, Donnerstag, den Richtungsschwenk der Wiener ÖVP in Sachen sonderpädagogische Ausbildung.
„Es ist nie zu spät, dazuzulernen. Angesichts ihrer neuen Erkenntnisse kann die Wiener ÖVP auf Minister Heinz Faßmann einwirken, damit er endlich die notwendigen Schritte setzt. Vielleicht hört er ja seinen Parteifreunden zu, nimmt endlich den Fuß von der Bremse und setzt unsere Forderungen um“, sagte Meidlinger.
Mit hartnäckiger Verzögerungstaktik verweigert der Bund seit langem eine anstehende Reform der sonderpädagogischen Ausbildung, die von einer deutlichen Mehrheit der Bundesländer gefordert wird. Die Bundesländer wollen die Möglichkeit haben, AbsolventInnen des Pädagogischen Hochschulstudiums „Elementarbildung, Inklusion und Leadership“ direkt anzustellen. Der Beruf soll attraktiver werden. Österreichweit herrscht ein Mangel an elementaren SonderpädagogInnen.
„Mit den neuen MitstreiterInnen an Bord gelingt es vielleicht, den Minister von seiner Taktik ewiger Evaluierungen und Überprüfungen offensichtlicher Mängel abzubringen. Dann kann die notwendige Gesetzesreform endlich starten und die seit langem bekannte prekäre Personalsituation hat ein Ende“, schloss Meidlinger.
Alle Parlamentsparteien haben sich gestern mit der Zivildienstnovelle zufrieden gezeigt. Ihr Ziel ist, den Heeresersatzdienst attraktiver zu machen. Wesentlichste Punkte sind, dass die Zivildiener eine Staatsbürgerschaftskunde absolvieren müssen und bei längerem Krankenstand leichter (vorübergehend) entlassen werden können.
Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) erhofft sich von der Novelle mehr Interessenten für den Zivildienst. Die Zuweisungen sind mit den jetzt zum Zug kommenden geburtenschwachen Jahrgängen stark zurückgegangen – heuer werden es nur rund 14.600 sein -, und dieses Problem werde man auch in den nächsten sieben bis zehn Jahren noch haben.
Verpflichtendes Modul „Staat und Recht“
Die Novelle sieht vor, dass Zivildiener künftig automatisch aus dem Dienst entlassen werden, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen mehr als 23 Tage dienstunfähig waren – länger durchgehend oder wiederholt einige Tage lang. Der Dienst muss dann später möglicherweise an einer anderen Stelle nachgeholt werden. Derzeit löst nur eine mehr als 18-tägige durchgängige Erkrankung die vorzeitige Entlassung aus. Außerdem werden Zivildiener zu einem E-Learning-Ausbildungsmodul „Staat und Recht“ verpflichtet. Ihre Vorgesetzten müssen alle drei Jahre ein spezielles computergestütztes Ausbildungsmodul absolvieren.
Einrichtungen, die drei Jahre lang keine Zivildiener angefordert haben, kann leicht die Anerkennung als Zivildienstträger entzogen werden. Auch eine nachträgliche Reduzierung zuerkannter Plätze ist – bei augenscheinlich fehlendem Bedarf – dann möglich.
Im Landestheater Linz und beim Bruckner Orchester Linz herrscht große Verunsicherung
Trotz massiver Proteste und mehr als 21.000 Unterschriften dagegen, hat der Gemeinderat die einseitige Auflösung des Theatervertrages mit dem Land beschlossen.
Thomas Dürrer, Bundessekretär in der younion _ Die Daseinsgewerkschaft ist wütend: „Wie kann man hunderte Beschäftigte so kaltherzig in Existenzängste jagen – und das ausgerechnet vor Weihnachten? Hier wird Machtpolitik auf Kosten von Beschäftigten und deren Familien betrieben. Das ist unerträglich.“ „Der Beschluss des Gemeinderates ist ein schwerer Schlag in die Magengrube. Hier war Bürgermeister Luger mehr als schlecht beraten! Ich glaube nicht, dass sich die Politik der Tragweite dieses Handelns bewusst war oder ist“, zeigt sich Josef Fuchsluger, Betriebsratsvorsitzender im Bruckner Orchester Linz, schwer enttäuscht.
Die Politik argumentiert, dass die Finanzierung im kommenden Jahr gesichert ist – doch genau damit entlarvt sie ihr Unwissen, wie der Kulturbetrieb überhaupt funktioniert. Thomas Dürrer: „Die Planungen müssen mehr als ein Jahr im Voraus erfolgen, sonst sind Großproduktionen überhaupt nicht möglich. Ich verstehe nicht, wie man etwas beschließen kann, ohne es sich vorher genau anzusehen." Dürrer macht sich dabei auch Sorgen, wie sich das Machtspiel zwischen Stadt und Land auf Linz allgemein auswirkt: „Der Kulturbetrieb ist zum Beispiel auch ein Wirtschaftsfaktor im Tourismus oder bei Kleinbetrieben. Was hier mit dieser Entscheidung angerichtet wurde, ist noch völlig unklar.“
younion-Landesvorsitzender Christian Jedinger fordert das Land Oberösterreich als Alleineigentümer auf, für eine finanzielle Bestandsgarantie für Theater und Orchester zu sorgen. Jedinger: „Bei jährlich 87 Millionen Euro Nettozahlungen der Stadt an das Land OÖ gibt es keine Rechtfertigung, die betroffenen Arbeitsplätze zu gefährden.“