Der Führungswechsel an der Spitze der Arbeiterkammer (AK) ist vollzogen: Nach der Wiener AK wurde Renate Anderl am Freitag auch zur Präsidentin der Bundesarbeitskammer gewählt. Gleich zu Beginn machte sie klar, dass sie die Kooperation mit der Regierung suchen will - aber sich nur den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet fühlt.
Inhaltlich heißt das, dass sie in praktisch allen sozialpolitischen Vorhaben anderer Meinung als die Regierung ist. Anderl forderte in ihrer Antrittsrede die Regierung auf, der AK mit Anstand und auf Augenhöhe zu begegnen: „Ich will, dass man nicht über uns, sondern mit uns spricht.“ Sozialministerin Beate Hartinger (FPÖ) hatte Anderl davor bereits eine konstruktive Zusammenarbeit offeriert.
Eine Einschränkung der Mitbestimmung in der Sozialversicherung wurde von Anderl ebenso abgelehnt wie die Etablierung eines Hartz-IV-ähnlichen Modells und die Zerstörung der AUVA. Den Reformauftrag der Regierung nahm Anderl an, allerdings derart, dass man nach der Befragung der Mitglieder deren Anliegen umsetzen wolle. Die Koalition hatte ja indirekt angedroht, der AK die Mittel zu kürzen, wenn sie nicht von sich aus die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei deren Beiträgen entlastet.
Arbeitszeitverkürzung „Gebot der Vernunft“
Am vehementesten zeigte sich Anderl beim Thema Arbeitszeit. Den Zwölfstundentag bzw. die 60-Stunden-Woche lehnt sie vehement ab. Hier gehe es nicht nur um Geld, sondern auch um die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Frage, wie man Beruf und Privatleben vereinbaren kann. Sie warnte vor negativen Folgen - für das Gesundheitssystem, durch drohenden Fachkräftemangel, wenn keine Zeit zur Fortbildung bleibe, bis hin zu Vereinen.
„Dass wenige mehr arbeiten, ist ein Retromodell“, so Anderl. Es sei vielmehr ein „Gebot der Vernunft“, die Arbeitszeit zu verkürzen und angesichts der boomenden Wirtschaft die Arbeitszeit auf mehr Menschen aufzuteilen. Anderl vermisst zudem Konzepte der Regierung, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim digitalen Wandel mitgenommen werden. Die AK habe dazu fertige Konzepte ausgearbeitet, so Anderl und nannte unter anderem das Recht auf eine Woche Freistellung für Bildungszwecke pro Jahr.
Van der Bellen lobt Arbeiterkammer
Beim Festakt für Anderl lobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Institutionen Arbeiterkammer und Sozialpartnerschaft.
Von Präsident zu Präsidentin
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen besuchte die Wahl Anderls und gratulierte dieser - durchaus ein ungewöhnlicher Schritt: Bei den letzten beiden AK-Wechseln waren die damaligen Bundespräsidenten (Thomas Klestil und Heinz Fischer) nicht anwesend. Van der Bellen nutzte die Gelegenheit, eine Lanze für die Sozialpartnerschaft zu brechen. Gleich vier Tweets postete die Präsidentschaftskanzlei zum Wechsel an der Spitze der Arbeiterkammer - das kann wohl auch als Fingerzeig für die Regierung gesehen werden, die bei mehreren Themen Druck auf die Sozialpartner aufbaut. Van der Bellen hob ausdrücklich die Rolle der Sozialpartner hervor, die er als eine der „großen Errungenschaften“ der Zweiten Republik bezeichnete.
95 Prozent Zustimmung
Die 55-jährige Anderl wurde am Freitag von der Hauptversammlung der AK mit 94,9 Prozent der Stimmen zur Nachfolgerin von Rudolf Kaske gewählt, der in den Ruhestand tritt. Direkt im Anschluss wurde Anderl von Sozialministerin Hartinger angelobt. Sie freue sich „irrsinnig“ über die große Zustimmung für die neue Präsidentin, sagte Hartinger. Man werde in den kommenden Monaten einige Herausforderungen haben und nicht immer einer Meinung sein. Es gehe aber um das Wohl des Staates und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das funktioniere nicht gegeneinander. Daher biete sie ein Miteinander an.